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Sie wohnt allein in einem kleinen Haus auf der anderen
Seite der Brücke. Offenbar ist sie jetzt auch dorthin unter-
wegs.
Sie folgen ihr bis zur Brücke über den Fluß. Dort ist es
schwer, sie zu verfolgen, weil viele Lampen auf der Brücke
brennen. Sie bleiben stehen und sehen Gertrud in der Dun-
kelheit verschwinden.
Joel erzählt, was er weiß. Als er fertig ist, stellt Ture eine
merkwürdige Frage:
»Weißt du, wo es einen Ameisenhaufen gibt?«
Ameisenhaufen ? Joel kennt viele Ameisenhaufen. Aber die
sind immer noch mit Schnee bedeckt. Die Ameisen kom-
men nicht vor Mai heraus.
»Morgen nacht besuchen wir sie«, sagt Ture. »Jetzt will
ich nach Hause.«
»Du hast doch gesagt, du willst mir was zeigen«, sagt
Joel.
»Das hab ich ja getan«, antwortet Ture. »Ich hab dir ge-
zeigt, wie man einen Menschen verfolgt.«
Joel begleitet Ture bis zur Gartenpforte. Er hofft, daß Ture
ihn auffordert, ihn nach der Schule zu besuchen, aber Ture
sagt nichts. Er springt nur über die Pforte und verschwin-
det in seinem großen Haus.
Joel denkt, daß Ture angefangen hat, die Führung in sei
-
nem Geheimbund zu übernehmen. Das ist gut, und das ist
auch nicht gut.
Es ist gut, daß er nicht die ganze Verantwortung allein tra-
gen muß. Aber es ist nicht gut, daß es so schnell gegangen
ist.
Er läuft nach Hause. Es ist kalt, und er friert. Irgendwo in
der Ferne hört er den Laster vom alten Maurer. Als er die
Küche betritt, hat er dasselbe Gefühl wie in der letzten
Nacht. Irgend etwas stimmt nicht. Diesmal ist das Gefühl
noch stärker.
Plötzlich bekommt er Angst. Was hat sich hier verän-
dert?
Nachdem er sich ausgezogen hat, schiebt er, ohne zu wis-
sen warum, vorsichtig die Tür zu Papa Samuels Zimmer
auf. Er weiß, wie weit man sie öffnen kann, ehe sie
knarrt.
Er lauscht auf die Atemzüge seines Vaters. Er hört keine.
Im nächsten Augenblick hat er solche Angst, daß er fast
angefangen hätte zu heulen. Ist Papa Samuel gestorben?
Vorsichtig tastet er sich über den Boden. Obwohl es dunkel
ist, schließt er die Augen.
Atme, denkt er, atme, atme . . .
Er stößt mit dem Knie gegen die Bettkante. Jetzt muß er die
Augen öffnen. Jetzt muß er das Schwerste tun, was es
gibt.
Etwas ansehen, was er sich eigentlich nicht anzuschauen
traut.
Aber seine Augen weigern sich. Vor den Augenlidern hängen große
Vorhängeschlösser. Große Hunde laufen hin und her und
hindern ihn daran, die Augen zu öffnen.
Aber schließlich zwingt er sie, sich zu öffnen, als ob er sie
aufsprengen müßte.
In der Dunkelheit sieht er, daß das Bett leer ist.
Papa Samuel hat ihn verlassen . . .
6
Was ist eigentlich in jener Nacht passiert, als Joel ent-
deckte, daß Papa Samuel nicht in seinem Bett lag?
Er ist seiner Sache nicht sicher. All seine Erinnerungen wa-
ren dunkel, als ob er unscharfe Fotos betrachtet hätte, als
er sich hinterher zu erinnern versuchte. Am liebsten hätte
er die Nacht vergessen. Aber die Erinnerung war stärker
als das Vergessen, und seine Angst war so groß, daß er sie
nicht einfach wegschieben konnte.
Was ist geschehen? Was hat er getan?
Er saß ganz still auf Papa Samuels Bett und weinte. Da war
die Angst lähmend. Dann lief er in der Wohnung herum,
als hätte er starke Schmerzen, vor denen er fliehen
mußte.
Die ganze Zeit kam es ihm so vor, als hörte er Papa Samu-
els Schritte auf der Treppe. Aber als er die Tür aufriß, war
dort niemand. Er spähte aus dem Fenster, aber die Straße
war leer, und die Nacht glotzte ihn höhnisch an.
Er dachte viele schreckliche Gedanken.
Zuerst hatte Mama Jenny ihn verlassen. Jetzt hatte Papa
Samuel dasselbe getan.
Seine gute Laune, die gesummten Seemannslieder, sein
Versprechen, ein Fahrrad zu kaufen, waren nichts anderes
gewesen als Lügen.
Die Angst war so groß, daß sie in ihm heulte. Als ob dort
ein Hund festgekettet säße und jaulte und jaulte.
Es dauerte lange, bis er sich so weit beruhigt hatte, daß er
wieder klar denken konnte.
Nachts fuhren keine Züge. Ein Auto besaßen sie nicht.
Und Papa Samuel konnte sich ja wohl kaum zu Fuß durch
die meilenweiten Wälder davonmachen.
Es gab nur eine Erklärung, und Joel spürte, daß er sich
sofort davon überzeugen mußte, ob es stimmte.
Als er wieder die Treppe hinunterläuft, öffnet sich plötz-
lich die Tür zur Wohnung von der alten Westman. Sie steht
da im Lichtschein in einem braunen Morgenmantel und
einer weißen Nachtmütze.
»Was ist das denn für ein schreckliches Gerenne auf der
Treppe heute nacht«, sagt sie. »Ist was passiert?«
»Nein«, antwortet Joel. »Nichts.«
Er kann sich gerade noch vorstellen, daß er sich drinnen in
der nach Äpfeln duftenden Wohnung der alten Westman
verstecken möchte. Sich hinter den gestickten Christus-
Tüchern verstecken und so tun, als ob es ihn nicht gäbe.
Aber er reißt sich los und läuft durch die Straßen.
Erst als er vor dem Tor ankommt, hinter dem Sara wohnt,
bleibt er stehen. Er ist so gerannt, daß er Seitenstiche hat,
und die kalte Luft brennt in seinem Hals.
Vorsichtig öffnet er das Tor und schleicht auf den Hinter-
hof. Bei Sara brennt noch schwaches Licht hinter einem
Fenster.
Er schaut sich auf dem Hof um. Es gibt keine Leiter. Aber
er weiß, wo er eine findet. Auf dem Hinterhof vom Eisen-
warenladen auf der anderen Straßenseite. Er läuft zurück,
über die Straße, und da liegt die Leiter, halb begraben un-
term Schnee. Sie ist schwer. Er schafft es kaum, sie anzuhe-
ben. All seine Kräfte muß er zusammennehmen, um sie
über die Straße zu schleppen.
Als er auf Saras Hof ankommt, ist er schweißnaß. Jetzt
muß er dringend, und er pinkelt gegen das Fahrrad, von
dem er glaubt, daß es Sara gehört. Er zittert und friert und
überlegt, wie er es schaffen soll, die Leiter gegen die Haus-
wand aufzurichten, ohne daß es jemand hört.
Aber das ist ja gar nicht wichtig. Nichts ist mehr wichtig.
Er packt die Leiter mit all seinen Kräften, und er schafft es
wirklich, sie gegen die Wand aufzurichten.
Hinter den Gardinen rührt sich niemand.
Doch das Schlimmste hat er noch vor sich.
Schritt für Schritt klettert er die Leiter hinauf, bis sein Kopf
genau unterhalb des erleuchteten Fensters ist.
Wieder schließt er die Augen. Wieder sitzen Vorhänge-
schlösser vor seinen Lidern. Er würde auf alles verzichten,
auf das Fliegende Pferd, auf »Celestine«, auf seinen Fels-
block, wenn nur Papa Samuel nicht hinter der Gardine
ist.
Dann guckt er.
In einem braunen Bett liegt Sara unter einem Laken. Sie
bewegt den Mund, aber Joel kann nicht verstehen, was sie
sagt.
Auf der Bettkante sitzt Papa Samuel.
Er ist nackt, und er hört zu, was Sara sagt. [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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